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Channel crossings & UK

„Operation Isotrope“: Marine gegen Schlauchboote

Die drei Batch 1-Hochseepatrouillenschiffe der Royal Navy. (Foto: Al Macleod / Wikipedia)

Das britisch-französische Grenzregime wird auf beiden Seiten des Ärmelkanals bislang vorrangig als Aufgabe der Polizei wahrgenommen, allerdings mit fließenden Grenzen zum Militärischen. Momentan jedoch verändert sich dies in Großbritannien grundlegend: Denn anstelle der UK Border Force, die dem Innenministerium untersteht und damit zivilen Charakter hat, soll in Kürze die Marine die Federführung bei der Bekämpfung der Migration über den Ärmelkanal übernehmen. Dies wäre das erste Mal, dass militärische Ressourcen nicht zur Unterstützung der zivilen Behörden eingesetzt werden, sondern diese umgekehrt innerhalb einer militärischen Kommandostruktur fungieren. Zwar ist noch unklar, wie dies en detail aussehen soll, doch wurde der Operation bereits ein Name gegeben: Operation Isotrope.

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Channel crossings & UK

Stehen Pushbacks unmittelbar bevor?

Der Ärmelkanal mit Traffic Separation Zones (violette Flächen) und Seegrenzen (graue Linie). (Quelle: Openstreetmaps)

Zu Beginn dieses Jahres berichtete The Times unter Berufung auf eine Quelle im britischen Innenministerium, dass die UK Border Force (UKBF) inzwischen bereit sei, Pushbacks an der Seegrenze zu Frankreich durchzuführen. Folgt man dem Bericht, so hätte es bereits an zwei Tagen im Dezember zu Pushbacks kommen können, wenn an diesen Tagen denn Überfahrten stattgefunden hätten. Innenministerin Priti Patel scheint fest entschlossen zu sein, möglichst rasch solche Operationen durchzuführen, obschon eine gerichtliche Entscheidung über ihre Zulässigkeit noch aussteht, eine erforderliche Vereinbarung mit Frankreich fehlt und sich die Gewerkschaft der Grenzbeamt_innen vehement dagegen ausspricht. Von Channel Rescue wurden nun Belege vorgelegt, die bestätigen, dass Pushbacks unmittelbar vorbereitet werden. Dabei zeichnet sich auch ab, auf welche Weise sie durchgeführt werden könnten.

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Channel crossings & UK

Großbritanniens Mittelmeer, Europas Ärmelkanal

Statement der Band Asian Dub Foundation zur europäischen Grenzpolitik, 1. Januar 2022. (Quelle: Asian Dub Foundation / Twitter)

Im Laufe des Jahres 2021 haben insgesamt 28.431 Männer, Frauen und Kinder den Ärmelkanal in unsicheren Booten durchquert. Diese Gesamtzahl wurde am heutigen 1. Januar 2022 bekannt. Für 28.431 Menschen bedeutete dies, einer Situation existenzieller Unsicherheit ausgesetzt zu sein und mit der Möglichkeit des eigenen Todes rechnen zu müssen, statt einen angemessenen Weg nach Großbritannien nehmen zu können: die Fähre oder den Eurostar. Der Nexus von Migrationspolitik und Tod ist auf Kanalroute noch nie so sichtbar geworden wie in den vergangenen Monaten, als wiederholt Menschen auf See verschwanden, Leichen an die nordfranzösische Küste gespült wurden und am 24. November schließlich mindestens 27 Passagier_innen eines Schlauchboots ertranken. Währenddessen hat die Dynamik der Kanalroute stärker zugenommen, als es zu erwarten gewesen wäre: Die Zunahme erfolgreicher Bootspassagen gegenüber dem Vorjahr, als rund 8.500 Channel crossers britisches Hoheitsgebiet erreichten, beträgt 337 %. Auch der Stellenwert dieser Route innerhalb des europäischen und globalen Migrationsgeschehens hat sich verändert.

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Calais Channel crossings & UK Dunkerque & Grande-Synthe

Frontex in Calais (2)

Tweet von Frontex: Verhindern, dass sich Menschen in Lebensgefahr begeben? (Quelle: Frontex / Twitter)

Eines der wenigen konkreten Ergebnisse des europäischen Ministertreffens nach der verheerenden Havarie vom 24. November war die Entsendung eines militärischen Aufklärungsflugzeugs der europäische Grenzschutzagentur Frontex nach Lille mit dem Auftrag, die Küste vor der Calaiser Region zu überwachen. Ob die ersten Einsätze Symbolpolitik waren, aufgrund der kurzfristigen Verlegung ohne ausreichende Kenntnis des modus operandi der Bootspassagen erfolgten oder der Vorbereitung späterer Einsätze dienten, bleibt spekulativ.

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Dunkerque & Grande-Synthe

„Ein Schmutzfleck auf der europäischen Flagge“

Damien Carême war fast 20 Jahre lang der Bürgermeister von Grande-Synthe. In der Geografie der Transitmigration am Ärmelkanal ist diese Kleinstadt nahe des Hafens von Dunkerque seit Langem eine Konstante. Der frühere Sozialist wurde überregional bekannt, als er dort im Jahr 2016 ein humanitäres Camp errichten ließ – in Gegenmodell zum rein repressiven Konzept im benachbarten Calais.

Seit 2019 sitzt Carême als Abgeordneter der Grünen / EFA im EU- Parlament. Im Rahmen einer aktuellen Recherche in Calais und Dunkerque tauchte die Frage auf, wie Carême auf die derzeitige Situation am Kanal blickt. Anstelle des kurzen Statements, um das wir ihn baten, schickte er eine detaillierte Analyse der Lage, die wir im Folgenden übersetzt veröffentlichen.  

Damien Carême (Foto: EU- Parlament)
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Calais Channel crossings & UK

Gemeinsame Verantwortungslosigkeit

Nach dem verheerenden Bootsunglück auf dem Ärmelkanal vor einer Woche dominieren gegenseitige Schuldzuweisungen die politische Aufarbeitung in Frankreich und Großbritannien. Die von EU und Großbritannien als Reaktion jeweils auf den Weg gebrachten Maßnahmen bewegen sich im erwartbaren Rahmen und dürften kaum dazu beitragen, Menschenleben zu retten. Der politische Druck aus der Zivilgesellschaft nimmt jedoch zu und zeigt erste Auswirkungen.

Karikatur in der heutigen Ausgabe von Le Monde. (Quelle: Cartooning for Peace / Twitter)
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Channel crossings & UK

10.000 Bootspassagen und ein möglicher Frontex-Einsatz

Die Zahl der erfolgreichen Channel crossings ist Anfang August auf über zehntausend angestiegen. Bereits am 21. Juli war die Gesamtzahl des Vorjahres von rund 8.500 Passagen überschritten worden (siehe hier). Wie die BBC nun meldet, erreichten am 4. August 482 Exilierte in 21 Booten die Insel, gefolgt von 475 in 15 Booten am 5. August. Dies stellt einen neuen Höchstwert dar. Zum Vergleich: Der am stärksten frequentierte Tag des Vorjahres war der 2. September 2020 mit 416 Booten; gleichzeitig war der September der bis dahin am stärksten frequentierte Monat überhaupt. Die Gesamtzahl der Bootspassagen seit Jahresbeginn beträgt nach Angaben der britischen Behörden nun 10.711 Personen, den Kanal durchquert hatten sie in über 440 Booten.

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Channel crossings & UK

Von der Küstenüberwachung zum Reallabor für Smart borders

Neue britisch-französische Vereinbarungen

Videokonferenz des französischen Innenministers Gérald Darmanin mit seiner britischen Amtskollegin Priti Patel am 20. Juli 2021. (Quelle: G. Darmanin / Twitter)

Die Innenminister_innen Großbritanniens und Frankreichs, Priti Patel und Gérald Darmanin, unterzeichneten am 20. Juli 2021 virtuell eine gemeinsame Erklärung zur Bekämpfung der undokumentierten Migration nach Großbritannien. Das Papier beschreibt ein Bündel neuer Vereinbarungen und Absichtserklärungen. Sie betreffen vor allem die personelle, logistische und technologische Aufrüstung des Grenzschutzes in der nordfranzösischen Küstenregion, die von Großbritannien in den Jahren 2021/22 mit weiteren 62.7 Millionen Euro finanziert werden soll. Im Vergleich zu vorausgegangenen Vereinbarungen fällt auf, dass der Überwachungsraum wesentlich weiter gefaßt ist und nun die gesamte französische Nordküste betrifft. Die Bekämpfung der Migration über die Kanalroute wird mit der stärkeren Überwachung der französischen Grenzen zu Italien und Spanien verknüpft und soll künftig durch eine engere Zusammenarbeit mit Belgien, den Niederlanden und möglicherweise auch Deutschland flankiert werden. Nicht zuletzt forcieren Patel und Darmanin die Implementierung neuer und vernetzter Überwachungstechnologien und skizzieren die Idee einer Smart border, die Migrationsversuche automatisch erkennen soll. Calais und die nordfranzösische Küste wären hierfür das Reallabor. Was genau steht in dem Papier?

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Calais Dunkerque & Grande-Synthe

Ausbeutung und Privileg

„We thank your government for our full pockets“ – Calais smugglers speak, so betitelt der Guardian einen lesenswerten Artikel vom 10. Mai 2021. Die Autorin Mathilda Mallinson lässt hier Geflüchtete, Schmuggler und Unterstützer_innen zu Wort kommen. Sie alle berichten, dass aufgrund der zunehmenden Sekuritisierung der englischen Grenze die mafiösen Strukturen immer mächtiger werden. Migrant_innen berichten von einem Geflecht aus Gewalt und Angst sowohl durch die hier schon hinlänglich dokumentierte Polizeigewalt als auch von Seiten der immer stärker werdenden Mafia.

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Calais Solidarität

Die Fährbesetzung 2019

Ein Rückblick aus aktuellem Anlass

In den Reaktionen auf das (angeblich) versuchte Eindringen von etwa hundert Geflüchteten auf das Gelände des Calaiser Hafens in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 2021 (siehe hier) wurde häufig auf eine Hafen- bzw. Fährbesetzumg im März 2019 hingewiesen. Beiden Ereignissen ist gemeinsam, dass sie sich an einem der am stärksten sekuritisierten Orte Frankreichs ereigneten, der zugleich ein besonders neuralgischer Punkt der externalisierten britischen Grenze ist. Beide Ereignisse verbindet aber auch, dass niemand derjenigen, die später darüber berichteten, anwesend war. Und beide werden durch das Narrativ miteinander verknüpft, dass Schmuggler_innen als Hintermänner agiert haben sollen. Wir möchten dies zum Anlass nehmen, einige bislang nicht veröffentlichte Recherchen über die Hafenaktion im März 2019 vorzustellen, die die damaligen Ereignisse in einem anderen Licht erscheinen lassen.