Kategorien
Calais Dunkerque & Grande-Synthe

Jugendliche in Extremsituation

Wie die in Calais tätige Organisation Utopia 56 am 30. Juli 2021 in einem Tweet mitteilte, hat es einen Angriff auf einen jugendlichen Exilierten in Calais gegeben: „Gestern hielt in Calais ein Auto am Rande eines Camps von exilerten Personen und schoss auf einen 15-jährigen Jungen. Er wurde in den Rücken geschossen. Er ist geschockt, aber nicht in Gefahr.“ Über Ablauf, Hintergründe und Motiv der Tat ist bislang nichts Näheres bekannt.

Kategorien
Channel crossings & UK

„On the move“: Ein Fake der britischen Regierung

Fake-Website On the move des britischen Innenministeriums: Hilfesuchende werden aufgefordert, sich an die Mailadresse einer scheinbaren Hilfsorganisation zu wenden. (Screenshot, 1. August 2021)

In diesem Frühjahr übte die britische Regierung Druck auf eine (tatsächliche) Hilfsorganisation aus, um zu verhindern, dass in den Camps von Grande-Synthe und Calais Flugblätter mit behördenunabhängigen Informationen über die Risiken einer Überquerung des Ärmelkanals in Booten oder versteckt in Lastwagen verteilt werden. Wir berichteten damals über den Fall (siehe hier). Das inkriminierte Flugblatt enthielt in mehreren Sprachen lebenswichtige Entscheidungshilfen und Informationen für den Notfall einschließlich offizieller Notrufnummern. So skandalös der Vorgang an sich bereits war, wurde durch Recherchen der Zeitung Independent nun bekannt, dass das britische Innenministerium eine Art Fake-Hilfsorganisation kreiert hat, um selbst Informationen ähnlichen Inhalts an Exilierte in Nordfrankreich zu vermitteln. Unter dem Namen On the move – informing migrants in transit erweckt eine anonym ins Netz gestellte Website den Eindruck, das Portal einer gleichnamigen, in Wirklichkeit aber nicht existierenden, Hilfsorganisation zu sein, neutral über die physischen, rechtlichen und frauenspezifischen Risiken einer undokumentierten Migration nach Großbritannien aufzuklären und gegebenfalls Hilfe zu bieten. Im Gegensatz zu den inkriminierten Flugblättern der realen Hilforganisationen geschieht dies allerdings mit dem Ziel der Abschreckung, unter Einsatz von Falschinformationen und obendrein unter Verzicht auf die so wichtigen Notrufnummern für den Fall des Falles. Hinweise auf das britische Innenministerium oder andere Behörden fehlten bei einer Sichtung der Webseite am gestrigen 1. August weiterhin völlig.

Kategorien
Channel crossings & UK

Hochsaison der Bootspassagen

Auf einer Sandbank bei Dunkerque gestandete Migrant_innen, 12. Juli 2021. (Foto: Préfecture maritime de la Manche et de la mer du Nord / Twitter)

Die Überquerung des Ärmelkanals in kleinen Booten hat sich als bevorzugte Migrationsroute von der nordfranzösischen zur englischen Küste weiter etabliert: Seit Jahresbeginn haben bereits mehr Exilierte Großbritannien auf diese Weise erreicht als im gesamten Jahr 2020. Bis zum Ende des Jahres könnten ihre Zahl auf etwa 22.000 ansteigen. Erneut stehen die Channel crossings im Zentrum einer von konservativen Akteur_innen befeuerten innenpolitischen Debatte in Großbritannien, und immer neue Maßnahmen sollen die Kanalroute schließen. Über ein neues zwischenstaatliches Abkommen haben wir in unserem vorigen Beitrag bereits berichtet. Im neuralgischen Küstenabschnitt um Calais hat inzwischen eine nautische Einheit der CRS ihre Arbeit aufgenommen und der Verkauf von Kraftstoff für Boote wurde polizeilich verboten. Der französische Innenminister Gérald Darmanin brachte bei einem Calais-Besuch den Einsatz von Frontex ins Spiel und eine weitere britisch-französische Vereinbarung verstärkt das Grenzregime in sicherheitspolitischen Fragen. Gleichwohl zeichnet sich ein Scheitern des konservativen Projekts ab, die Migration über die Kanalroute durch eines der restriktivsten Asylgesetze Europas aufhalten zu wollen.

Kategorien
Channel crossings & UK

Von der Küstenüberwachung zum Reallabor für Smart borders

Neue britisch-französische Vereinbarungen

Videokonferenz des französischen Innenministers Gérald Darmanin mit seiner britischen Amtskollegin Priti Patel am 20. Juli 2021. (Quelle: G. Darmanin / Twitter)

Die Innenminister_innen Großbritanniens und Frankreichs, Priti Patel und Gérald Darmanin, unterzeichneten am 20. Juli 2021 virtuell eine gemeinsame Erklärung zur Bekämpfung der undokumentierten Migration nach Großbritannien. Das Papier beschreibt ein Bündel neuer Vereinbarungen und Absichtserklärungen. Sie betreffen vor allem die personelle, logistische und technologische Aufrüstung des Grenzschutzes in der nordfranzösischen Küstenregion, die von Großbritannien in den Jahren 2021/22 mit weiteren 62.7 Millionen Euro finanziert werden soll. Im Vergleich zu vorausgegangenen Vereinbarungen fällt auf, dass der Überwachungsraum wesentlich weiter gefaßt ist und nun die gesamte französische Nordküste betrifft. Die Bekämpfung der Migration über die Kanalroute wird mit der stärkeren Überwachung der französischen Grenzen zu Italien und Spanien verknüpft und soll künftig durch eine engere Zusammenarbeit mit Belgien, den Niederlanden und möglicherweise auch Deutschland flankiert werden. Nicht zuletzt forcieren Patel und Darmanin die Implementierung neuer und vernetzter Überwachungstechnologien und skizzieren die Idee einer Smart border, die Migrationsversuche automatisch erkennen soll. Calais und die nordfranzösische Küste wären hierfür das Reallabor. Was genau steht in dem Papier?

Kategorien
Calais

Erneute Räumung des Magnésia-Areals

Während der Räumung des Magnésia-Geländes am 9. Juli 2021. (Foto: Utopia 56)

„Keine Ferien bei den Schikanen gegen Exilierte in Calais: Hunderte Menschen, die im Juni aus einem Camp vertrieben wurden, wurden heute Morgen erneut verjagt, ihre Habseligkeiten wurden […]. Einige Familien schlafen auf dem Boden.“ Mit diesen Worten kommentierte Utopia 56 am 9. Juli 2021 die abermalige Räumung des prekären Lebensorts von Exilierten auf dem Magnésia-Areal südlichen Rand von Calais.

Kategorien
Calais

Zwei Exilierte verloren durch Gummigeschosse ein Auge

Zu unseren Beiträgen über die Auseinandersetzungen in den frühen Morgenstunden des 2. Juni 2021 (siehe hier und hier) ist ein Nachtrag erforderlich. Denn inzwischen wurde deutlich, dass zwei Exilierte in diesem Zusammenhang gegen 4 Uhr morgens durch Gummigeschosse der CRS am Kopf getroffen wurden und dadurch jeweils ein Auge verloren. Einer der Betroffenen war minderjährig. Dies bestätigten die Human Rights Observers in einem aktuellen Hintergrundgespräch mit unserem Blog in Calais.

Kategorien
Calais Solidarität

Zwölfte Verlängerung des Versorgungsverbots

Protest gegen die abermalige Verlängerung des Versorgungsverbots in Calais, 26. Juni 2021. (Foto: Auberge des migrants / Twitter)

Am 26. Juni protestierten in der Calaiser Innenstadt etwa 60 Menschen mit Kundgebungen und ironischen Inszenierungen gegen das seit September 2020 immer wieder verlängerte Verbot von Nahrungs- und Wasserverteilungen an Migrant_innen. Das von der Präfektur erlassene Verbot lässt in weiten Teilen von Calais lediglich Versorgungsleistungen zu, die von einer einzigen staatlich beauftragten Organisationen durchgeführt werden (siehe hier, hier, hier und hier). Den zivilgesellschaftlichen Organisationen hingegen ist die Ausgabe von Trinkwasser und Nahrung in Reichweite der Camps faktisch untersagt. Diese aber stellt nach wir vor einen wesentlichen Teil der Grundversorgung der Exilierten dar.

Kategorien
Channel crossings & UK

Noch nie so viele Bootspassagen in einem Monat

Nach einem Bericht der BBC haben noch nie so viele Exilierte den Ärmelkanal per Boot passiert wie im Juni. Demnach gelangten im Juni 2.179 Bootspassagiere auf die Insel, mehr also als im September vergangenen Jahres, der mit knapp zweitausend Channel crossers der bislang der verkehrsreichste Monat der Kanalroute war.

Kategorien
Calais Solidarität

Petition gegen die Abschiebung eines Opfers von Polizeigewalt

Mit einer Petition an die Préfecture du Nord versucht die Rechtshilfe La Cabane Juridique momentan die Abschiebung eines eritreischen Exilierten in die Niederlande zu verhindern. Betroffen von der drohenden Maßnahme ist der Mann, der am 11. November 2020 in Calais durch einen Polizeieinsatz schwer verletzt worden war: Er war durch ein Gummigeschoss, dass ein CRS-Beamter aus weniger als zehn Metern Entfernung auf ihn abgeschossen hatte, am Kopf getroffen worden. Über den Fall hatten zahlreiche französische Medien, darunter die Libération, berichtet (siehe hier und hier).

Kategorien
Calais

Im Raum der Extralegalität

Zu den von Utopia 56 öffentlich gemachten Misshandlungen

Auf dem Rücksitz des Polizeiwagens zusammenschlagen – Brandwunden mit dem Feuerzeug zufügen – einen Mann durch Urinieren wecken – einem anderen die Schuhe wegnehmen und ihn barfuß an der Autobahnauffahrt zurücklassen – Familienzelte mit CS-Gas einsprühen. – Der Migrationsforscher Michel Agier beschrieb den Jungle von Calais in seinem gleichnamigen Standardwerk [1] als einen Lebensort innerhalb der dort zur Falle gewordenen Grenze, der zugleich durch drei Dimensionen der Ausgrenzung konstituiert ist: die Exklusion der Menschen, die (faktische) Extraterritorialität des Raumes und Extralegalität des Status. Der Jungle als Hüttenstadt vieler tausend Bewohner_innen, der im Mittelpunkt der Analyse Agiers und seines Teams stand, besteht seit knapp fünf Jahren nicht mehr. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Mechanismen des Verdrängens der Exilierten in gleichsam rechtsfreie Zonen damit beendet wären. Die oben umrissenen Gewaltakte, die laut einer Mitteilung von Utopia 56 von Angehörigen der Sicherheitskräfte an Exilierten in Calais verübt wurden (siehe hier), sind nur denkbar in einem solchen Raum suspendierter (menschen)rechtlicher Normen, in dem die Handlungsmacht der Polizei gleichsam entgrenzt ist – sei es, dass ihnen ein solcher extralegaler Handlungsraum gewährt wird, sei es, dass sie ihn sich selbst aneignen. Inzwischen ist mehr über die Fälle, ihren Kontext und ihre möglichen Konsequenzen bekannt geworden.