In der Nacht vom 13. Mai auf den 14. Mai haben rund einhundert Exilierte um kurz nach drei Uhr morgens einen Maschendrahtzaun durchtrennt und versucht, auf das Hafengelände oder auf Lastwagen zu gelangen. Gleichzeitig wurden auf der Hafenzufahrt Hindernisse aus Holzplanken und anderen Materialien errichtet, um Fahrzeuge in Richtung England zum Bremsen oder Anhalten zu zwingen. Dies berichten La Voix du Nord, NordLittoral (€), France Bleu, Le Figaro und DailyMail in ihrer jeweiligen Onlineausgabe.
Kategorie: Calais
Alles rechtens, nichts mit rechten Dingen…
Räumungen und Enteignungen verschärft
Regelmäßige Räumungen der Siedlungsplätze der Exilierten in Calais sind integraler Bestandteil der staatlichen Abschreckungspolitik. Sie lassen sich zum einen der Strategie zuordnen, die Verfestigung von Siedlungsplätzen – sogenannte points de fixation – zu unterbinden. Zum anderen stellen sie – wie hier bereits dargestellt – Enteignungen dar.
Racial profiling
Solidarität aus Deutschland (2)
Die im vorigen Beitrag beschriebenen Transporte von Hilfsgütern von Düsseldorf nach Calais ist nicht die einzige Initiative dieser Art in Deutschland. Immer wieder sind uns während der vergangenen fünf Jahre kleinere und größere Initiativen begegnet, in denen sich Personen aus sehr unterschiedlichen Kontexten für oder in Calais engagierten. Ohne den Anspruch, einen Überblick hierüber geben zu können, möchten wir zwei weitere Transporte aus dem Rheinland nach Calais vorstellen. Ihnen allen war gemeinsam, dass sie die Verknappung der materiellen und personellen Ressourcen infolge des Brexit, wie sie am Beispiel der Düsseldorfer Initiative beschrieben wurde, zu kompensieren halfen. Sie alle agierten unabhängig voneinander, ohne staatliche Unterstützung und außerhalb professioneller NGOs.
Solidarität aus Deutschland
Auch in Deutschland gibt es Gruppen, die humanitäre, solidarische und politische Arbeit mit Bezug auf Calais leisten. Einige von ihnen wollen wir auf diesem Blog vorstellen. So wurden etwa aus Düsseldorf im Jahr 2021 bereits zwei Transporte mit Spenden für die Exilierten organisiert. Ein dritter ist in Planung. Wir haben mit Benedikt Schmitz, dem Initiator dieser Düsseldorfer Hilfstransporte gesprochen.
Indigene, Immigrierte und Infantile
Für die Beschreibung und die Analyse der Entwicklungen in Calais sind Ansätze ungeeignet, die auf das Bewusstsein und die Weltsicht der in Politik und Verwaltung Handelnden abzielen. Die Politik einer feindlichen Umgebung, der Abschreckung und Schikane und die Situation einer Grenzfalle bedingen einen Bezug auf grundlegende Kategorien von Freiheits- und Menschenrechten, bei deren Verletzung das Bewusstsein ihrer Verursacher egal sein dürfte.
Im Winter 2021 ließ die Stadt Calais eine von der katholischen Kirche eingerichtete Notunterkunft La Crèche (Die Krippe) für minderjährige Exilierte schließen. Als formale Handhabe dienten Brandschutzvorschriften, was zu der zynische Situation führte, dass die betroffenen Personen unter Verweis auf ihre Sicherheit in die Unsicherheit verdrängt wurden. Das Vorgehen hatte den Bischof von Arras, zu dessen Diözese Calais gehört, und die Präsidentin der französischen Caritas (Secours Catholique) zu einer scharfen Kritik am Umgang mit den Migrant_innen veranlasst (siehe hier und hier). Während die meisten der betroffenen Jugendlichen in einem anderen Gebäude untergebracht wurden und dort zumindest bis Pfingsten bleiben können, klagten der Diözesanverband und Secours Catholique gegen die Stadt Calais, um eine Wiedereröffnung der Crèche zu erreichen. Die Intervention scheiterte: Das Verwaltungsgericht Lille gab am 28. April 2021 der Stadt Calais recht.
Räumung in Coquelles
Der Lokalzeitung La voix du Nord zufolge hat in Calais‘ westlicher Nachbargemeinde Coquelles am 27. April 2021 eine größere Räumung stattgefunden. Sie betraf ein erst seit wenigen Wochen bestehendes Camp in der Nähe des ehemaligen Möbelhauses Conforama an der Gemeindegrenze von Calais und Coquelles. Das ursprüngliche Camp unter einem Vordach des leerstehenden Gebäudes war im März durch schwere Steine versperrt worden (siehe hier).
Eine filmische Dokumentation
Utopia 56, gegründet 2016 angesichts der Situation Geflüchteter in Calais, wurde in den vergangenen Jahren zu einer Hilfsorganisationen für Geflüchtete in Frankreich. Mit wenigen Mitteln organisieren sie Unterkünfte, die Ausgabe von Zelten und Kleidung und greifen in Notsituationen ein, etwa um den Zugang zu medizinischer Versorgung zu gewährleisten. Im vergangenen Winter hat der Journalist Ulysse Cailloux das Team von Utopia 56 nach Calais und Grande Synthe begleitet. Vom 26. bis 28. Dezember 2020 filmte er das tägliche Leben der jungen Aktivist_innen.
Am 15. April 2021 veröffentlichten die Human Rights Observers (HRO) ihren Jahresbericht Observations des violences d’État a frontière Franco-Britannique. Das 49seitige Dokument beruht auf einer systematischen und kontinuierlichen Beobachtung des Polizeiverhaltens in Calais und Grande-Synthe während des vergangenen Jahres. Bereits einige Zahlen machen von Neuem das Ausmaß der Gewalt sichtbar: 967 dokumentierte Räumungen migrantischer Lebensorte in Calais plus 91 in Grande-Synthe, zusammen 1058. Dabei wurden in Calais mindestens 2816 Zelte/Planen, 802 Schlafsäcke/Decken, 228 Taschen, 116 Fahrräder und anderer persönlicher Besitz bechlagnahmt. In Grande-Synthe waren es mindestens 2110 Zelte/Planen, 357 Schlafsäcke/Decken und 32 Taschen. In Calais wurden 349 und in Grande-Synthe 149 Personen während einer Räumung festgenommen.