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Calais Dunkerque & Grande-Synthe

Über 1200 Räumungen im Jahr 2021

Räumung in Calais. (Foto: Human Rights Observers)

Durch die tägliche Präsenz von Human Rights Obervers (HRO) sind wir in der Lage, nicht nur das momentane Ausmaß der Räumungspolitik in Calais und Grande-Synthe zu verfolgen. Das Datenmaterial ermöglicht es auch, Entwicklungen über längere Zeiträume zu analysieren. Dabei wird einmal mehr sichtbar, mit welch hohem logistischen Aufwand die elenden Lebensverhältnisse der Exilierten hergestellt werden und welch eine zentrale Rolle der Ressourcenentzug dabei spielt. Konkret liegt die Zahl der dokumentierten Räumungen allein in Calais über 1.200. Bei diesen Aktionen wurden in Calais und Grande-Synthe rund 10.000 Zelte und Schutzplanen, über 3.000 Schlafsäcke und Decken und über 600 Rucksäcke bzw. Taschen beschlagnahmt. Dies ist das Zwei- bis Dreifache der Menge von 2020 nud ein Vielfaches von 2019 (siehe hier und hier). Doch diese Verschärfung der Lage ist nicht alles: Auch der Solidaritäts-Hungerstreik dreier Aktivist_innen im vergangenen Herbst scheint in den Datenreihen eine Spur hinterlassen haben.

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Calais Channel crossings & UK Dunkerque & Grande-Synthe

Frontex in Calais (2)

Tweet von Frontex: Verhindern, dass sich Menschen in Lebensgefahr begeben? (Quelle: Frontex / Twitter)

Eines der wenigen konkreten Ergebnisse des europäischen Ministertreffens nach der verheerenden Havarie vom 24. November war die Entsendung eines militärischen Aufklärungsflugzeugs der europäische Grenzschutzagentur Frontex nach Lille mit dem Auftrag, die Küste vor der Calaiser Region zu überwachen. Ob die ersten Einsätze Symbolpolitik waren, aufgrund der kurzfristigen Verlegung ohne ausreichende Kenntnis des modus operandi der Bootspassagen erfolgten oder der Vorbereitung späterer Einsätze dienten, bleibt spekulativ.

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Dunkerque & Grande-Synthe

„Ein Schmutzfleck auf der europäischen Flagge“

Damien Carême war fast 20 Jahre lang der Bürgermeister von Grande-Synthe. In der Geografie der Transitmigration am Ärmelkanal ist diese Kleinstadt nahe des Hafens von Dunkerque seit Langem eine Konstante. Der frühere Sozialist wurde überregional bekannt, als er dort im Jahr 2016 ein humanitäres Camp errichten ließ – in Gegenmodell zum rein repressiven Konzept im benachbarten Calais.

Seit 2019 sitzt Carême als Abgeordneter der Grünen / EFA im EU- Parlament. Im Rahmen einer aktuellen Recherche in Calais und Dunkerque tauchte die Frage auf, wie Carême auf die derzeitige Situation am Kanal blickt. Anstelle des kurzen Statements, um das wir ihn baten, schickte er eine detaillierte Analyse der Lage, die wir im Folgenden übersetzt veröffentlichen.  

Damien Carême (Foto: EU- Parlament)
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Calais Dunkerque & Grande-Synthe

Der Abfluss der EU- Migrationskrise – Eindrücke einer Recherche

Wenn man nach langer, zu langer Pause wieder an den Ärmelkanal kommt, ist das eine seltsame Ambivalenz. Einerseits hat sich die Geografie verändert, man bewegt sich nicht mehr selbstverständlich, sondern muss sich die Situation erst wieder neu erschließen. Gerade dieser Abstand aber, aus dem man sich dann erneut heranzoomt an den Alltag der repressiven Elendsverwaltung, aus Räumungen und Schikanen, bietet die Möglichkeit einer Aktualisierung der eigenen Analyse. Im Folgenden einige Punkte, die sich aus der zurückliegenden Woche in Calais und Grande-Synthe ergeben.

In Calais. (Foto: Tobias Müller)
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Dunkerque & Grande-Synthe

Der Mann mit dem Messer

Die Zunahme der Bootspassagen, die tödliche Havarie am 24. November und der Hungerstreik vom 11. Oktober bis zum 17. November haben die Lage der Exilierten verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Mehrfach äußerte sich der französische Innenminister Gérald Darmanin in diesem Kontext zu Gewaltvorwürfen gegen staatliche Behörden, die er teils bestritt und teils relativierte. In einer parlamentarischen Anhörung äußerte er sich am 7. Dezember nun auch zum Zerschneiden von Zelten, das bei Räumungen in Grande-Synthe seit einem Jahr wiederholt dokumentiert worden ist. Ein Mitarbeiter einer Reinigungsfirma wurde dabei zum Bauernopfer.

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Channel crossings & UK Dunkerque & Grande-Synthe

Frontex in Calais: Symbolpolitik statt Seenotrettung?

In der Politik gegenüber den Exilierten in Calais und der Region ist nach dem Ende des Hungerstreiks vor drei Wochen und des Schiffsunglücks mit mindestens 27 Toten vor gut zehn Tagen keinerlei Kurswechsel erkennbar. Der Einsatz des von Frontex bereitgestellten Aufklärungsflugzeugs scheint – bei aller Unsicherheit, die langfristige Strategie aus bisher zwei Einsätzen abzuleiten – vor allem der Symbolpolitik zu dienen.

Screenshot aus ads-b.nl für den Flug vom 3. Dezember 2021.
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Calais Channel crossings & UK Dunkerque & Grande-Synthe

„The British police didn’t help us“

Eine Woche nach der tödlichen Havarie am 24. November 2021 vor Calais (siehe hier, hier und hier) geben Recherchen des kurdischen Privatsenders Rudaw mit Sitz in Erbil ein detaillierteres Bild des Geschehens. Basierend auf Interviews mit den beiden Überlebenden und mit Angehörigen der Opfer wird deutlich: Die Passagier_innen setzten Notrufe an die französischen und britischen Küstenwachen ab, die jeweils auf die Zuständigkeit des anderen Landes verwiesen. So blieb jede Hilfe aus, bis schließlich französische Fischer mehr als zwölf Stunden, nachdem das Boot in Seenot geraten war, die im Wasser treibenden Leichen entdeckten. Die Recherchen legen außerdem nahe, dass sich das Boot bereits in britischen Hoheitsgewässern befand, als die Situation an Bord lebensbedrohlich war. Die britischen Behörden würden in diesem Fall eine Mitverantwortung für den Tod von mindestens 27 Menschen tragen.

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Calais Dunkerque & Grande-Synthe

Demonstrative Räumungen in Grande-Synthe und Calais

Erdarbeiten zur Verschließung des Camps Old Lidl in Marck, im Hintergrund das Gewerbegebiet Transmarck, 16. November 2021. (Foto: Auberge des Migrants / Twitter)

In Grande-Synthe bei Dunkerque fand am gestrigen 16. November eine der größten Räumungen der vergangenen Jahre statt. Sie betraf ein Camp, in dem rund 1.000 bis 1.500 Menschen, meist irakische Kurd_innen, lebten. Eine zweite Räumung betraf am gleichen Tag ein Gelände in Marck bei Calais, auf das sich nach vorausgegangenen Räumungen hunderte Exilierte zurückgezogen hatten. Auf ihre jeweilige Weise wirken beide Räumungen wie politische Statements, denn sie fanden an exponierten Orten statt und geschahen im Kontext aufgeheizter Diskurse: Die Räumung der mehr als tausend Menschen in Grande-Synthe kann als ein Signal Frankreichs an Großbritannien verstanden werden, dass man noch entschlossener gegen potenzielle Bootsmigrant_innen durchgreife, während die Räumung bei Calais genau dort ansetzte, wo sich Aktivist_innen anderthalb Wochen zuvor einer solchen Aktion zweimal entgegengestellt hatten (siehe hier). Beide Räumugen widersprachen zudem diametral der Forderung der Hungerstreikenden, die seit dem 11. Oktober eine Aussetzung solcher Operationen während der Wintermonate gefordert hatten und ihre Aktion am heutigen 17. November abbrachen.

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Calais Dunkerque & Grande-Synthe

„Erzwungenes Elend“: Ein Bericht von Human Rights Watch

Die menschenrechtspolitische Auseinandersetzung mit der Situation der Exilierten in Nordfrankreich ist ebenso alt der gescheiterte Versuch, die undokumentierte Grenzpassage von Migrant_innen dort zu unterbinden. Neben anderen internationalen, nationalen und lokalen Organisationen beschäftigt sich Human Rights Watch (HRW) seit Längerem mit dieser Thematik. Nach dem 2017 vorgelegten Bericht „Like Living in like in Hell“ hat die Organisation am im Oktober 2021 einen weiteren Bericht vorgelegt: Enforced Misery. The Degrading Treatment of Migrant Children and Adults in Northern France.

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Benelux & Deutschland Dunkerque & Grande-Synthe

Mawda-Prozess wird fortgesetzt

Das Foto der zweijährigen Mawda wurde zum Symbol des in Belgien viel beachteten Falles von Polizeigewalt. (Foto: privat)

[Mit einem Update zum Prozessausgang] Am 30. September und 1. Oktober 2021 wird der ‚Mawda-Prozess‘ vor dem Berufungsgericht im belgischen Mons fortgesetzt. Ein Teil dieses Falles wird neu verhandelt, nachdem der Polizeibeamte, der das Kind während eines Polizeieinsatzes getötet hatte, gegen seine Verurteilung zu einem Jahr Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 400 Euro Berufung eingelegt hat.